Der Roman ist im Februar auf Platz 9 der SWR-Bestenliste und im März auf Platz 6!


In den Badischen Neuesten Nachrichten erscheint ein lobpreisender, vor allem aber äußerst scharfsinniger Artikel über den Roman von Sibylle Kranich, der alles würdigt und erfasst, was man sich nur wünschen kann:
Karlsruhe
Vier Frauen im Krieg
Karlsruher Autorin Elfi Conrad legt mit 80 Jahren ihren zweiten Roman über Flucht und Überleben vor
Mit fast 80 Jahren gelang der Karlsruher Schriftstellerin Elfi Conrad ein Überraschungserfolg. Jetzt ist ihr zweites Buch erschienen. „Als sei alles leicht“ ist ein Meisterwerk.

Mit ihrem zweiten Buch „Als sei alles leicht“ knüpft die Karlsruher Schriftstellerin an ihren Überraschungserfolg „Schneeflocken wie Feuer“ an. Foto: Andrea Fabry (Archiv)
von Sibylle Kranich
06. Apr 2025 | 09:02 Uhr 3 Minuten
Ein sicherer Schlafplatz, Essen und Milchpulver für das Baby, der flüchtige Duft eines Stücks Seife – all das hat für Frauen auf der Flucht einen hohen Preis. Sex heißt die Währung und wer überleben will, muss Abscheu, Ekel und Demütigungen ertragen und dabei noch so tun, als sei alles leicht.
In ihrem zweiten Roman „Als sei alles leicht“ knüpft die 80-jährige Autorin Elfi Conrad an den Erfolg ihres Debütwerks „Schneeflocken wie Feuer“ an und entfaltet mit ebenso großer Erzählkraft die Vorgeschichte ihrer Protagonistin Dora.
Das zweite Buch der Karlsruherin erzählt die Vorgeschichte zum ersten
Während im ersten Roman die erwachsene Dora im Mittelpunkt stand, die gegen patriarchalische Strukturen der Nachkriegszeit ankämpft, widmet sich Conrad nun Doras Mutter Ursel, ihrer Tante Kathi und der Großmutter Margarete und ihrer dramatischen Flucht aus Schlesien im Winter und Frühjahr 1945.

„Schneeflocken wie Feuer“
Bestseller mit 80: Karlsruher Schriftstellerin Elfi Conrad muss lange auf Erfolg warten
von Sibylle Kranich
Die Autorin, die zwischen Karlsruhe und dem Elsass lebt, zeichnet mit historischer Präzision und emotionaler Tiefe das Schicksal einer Frauengemeinschaft nach, die vor der herannahenden Front flieht, um bei entfernten Verwandten im Harz Zuflucht zu finden.
Vier Frauen, vier Perspektiven, vier Stimmen
Jede Frau hat dabei ihre eigene Perspektive auf das Geschehen und ihre eigene Stimme. Die Autorin schenkt ihnen in schnell aufeinanderfolgenden Kapiteln jeweils eigene Erzählräume. So kurz die Abschnitte sind, so nah kommt man als Leser den Gefühls- und Gedankenwelten der Frauen. Die große Stärke der Autorin ist es, in wenigen, fast kargen Worten ein sehr kompaktes Bild eines Charakters oder einer Situation zu zeichnen.
Besonders eindringlich porträtiert Conrad die existenzielle Not und die moralischen Abgründe, denen Frauen in Kriegszeiten ausgesetzt sind. Ursel ist gezwungen, ihren Körper als Überlebenswerkzeug einzusetzen. Der Leser folgt ihren Gedanken von der ängstlichen Ahnung bis zur mutigen Umsetzung. In einer der erschütterndsten Szenen opfert sich Ursel einem Tschechen, um Babynahrung, warme Kleidung und die lebenswichtigen Zugtickets nach Deutschland zu erhalten.
Conrad vermeidet Schwarzweiß-Malerei: Ursels „Opfer“ ist eine bewusste Entscheidung, die nicht nur dem Überlebenswillen entspringt, sondern von der Protagonistin auch als Form der Selbstbestrafung für ihre frühere Hitler-Verehrung empfunden wird.
Sicherheit gibt es nicht mal in der Kirche

„Als sei alles leicht“ von Elfi Conrad ist im Verlag Mikrotext erschienen. Das Buch hat 12 Seiten und kostet 22 Euro. Foto: Buchcover
Die vermeintliche Sicherheit, die Ursel nach der Ankunft in Deutschland empfindet, erweist sich als trügerisch. Ihre Erleichterung, den lüsternen Blicken der Männer auf der Flucht und im Lager entkommen zu sein, wird brutal zerstört, als ausgerechnet ein katholischer Pfarrer versucht, sie zu vergewaltigen. Conrad demaskiert die Doppelmoral und die allgegenwärtige sexuelle Bedrohung, der Frauen selbst in vermeintlich sicheren Räumen ausgesetzt sind.
Was den Roman besonders auszeichnet, ist Conrads nuancierte Darstellung weiblicher Stärke in einer Zeit extremer Not. Der Titel „Als sei alles leicht“ entpuppt sich als bittere Ironie angesichts der schier unüberwindbaren Hindernisse, mit denen die Frauen konfrontiert werden – und gleichzeitig als Hommage an ihren unbeugsamen Überlebenswillen.
Die sprachliche Eleganz, mit der Conrad die emotionalen Höhen und Tiefen ihrer Figuren einfängt, macht den Roman zu einem literarischen Erlebnis.
Ein Roman nicht nur über den Krieg
„Als sei alles leicht“ ist mehr als ein Roman über den Krieg – es ist eine schonungslose Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, mit Überlebensschuld und mit den Wurzeln weiblicher Selbstbehauptung. Die generationenübergreifende Erzählung offenbart, wie die traumatischen Erfahrungen der Mutter den Grundstein für die spätere Rebellion der Tochter Dora legen, deren Geschichte in „Schneeflocken wie Feuer“ weitergeführt wird.
Mit diesem Roman bestätigt Elfi Conrad, dass ihr Debüterfolg kein Zufall war. Sie hat eine wichtige literarische Stimme gefunden, die besonders den oft übersehenen weiblichen Perspektiven auf die deutsche Nachkriegsgeschichte Gehör verschafft und die Kontinuität patriarchaler Gewalt über historische Umbrüche hinweg sichtbar macht.
Lesung mit Elfi Conrad
Am Mittwoch, 7. Mai, ist Elfi Conrad um 19.30 Uhr zu Gast in der Karlsruher Stephanus-Buchhandlung (Herrenstr. 34). Dort liest sie aus ihrem neuen Buch „Als sei alles leicht“.
Denis Scheck empfiehlt den Roman erneut, diesmal im WDR 2 und mit anderen Worten:
In „Als sei alles leicht“ erzählt Elfi Conrad von Flucht, von Menschen in Extremsituationen und von sexualisierter Gewalt. Der Roman erinnert daran, dass „rape culture“ in Deutschland schon fest verankert war, als es noch kein Wort dafür gab.
Elfi Conrad wählt für ihren Roman „Als sei alles leicht“ eine ganz leichte, zarte und sublime Sprache, sodass der Text trotz aller Härte leicht zugänglich ist.
Allerdings lässt das Gelesene einen immer wieder erschaudern, und zwar immer dann, wenn einem bewusst wird, wie sehr die Vergangenheit und die Prägungen, die die Menschen damals erlitten haben, unsere Gegenwart immer noch bestimmen.

Katharina Herrmann hebt in Kulturgeschwätz hervor, dass Frauen von Krieg und seinen Aus- wie Nachwirkungen anders betroffen seien als Männer und dieses Thema nach wie vor eines sei, das mit Tabus und Scham belegt sei.
Auswirkungen von Krieg: Elfi Conrad – Als sei alles leicht; Dmitrij Kapitelman – Russische Spezialitäten
Veröffentlicht am von kulturgeschwaetz
In der deutschsprachigen Literaturgeschichte sind – wie in der Literaturgeschichte überhaupt – Krieg und seine Auswirkungen ein zentrales Thema. Vom „Nibelungenlied“ über Grimmelshausens „Der abenteuerliche Simplicissimus“ bis zu „Im Westen nichts Neues“ von Remarque – wo Krieg herrschte, versuchten Menschen auch, den Krieg und seine Auswirkungen auf das Leben erzählerisch zu verarbeiten.
Literatur kann dabei auch eine Betroffenheit von Krieg erzählen, die entweder nicht augenfällig ist oder die ausgeblendet wird. Dass etwa Frauen von Krieg und seinen Aus- wie Nachwirkungen anders betroffen sind als Männer, ist zwar so alt wie der Krieg selbst, wird aber in öffentlichen Debatten um Krieg und Frieden seltener thematisiert als etwa Soldatentum und Kriegsversehrtheit. Das mag auch daran liegen, dass es sich bei dieser Betroffenheit in der Regel um sexualisierte Gewalt oder die Gefahr eben dieser Gewalt handelt, und dieses Thema ist eben nach wie vor eines, das mit Tabus und Scham belegt ist.
In „Als sei alles leicht“, quasi einem Prequel zum Vorgängerroman „Schneeflocken wie Feuer“, erzählt Elfi Conrad vom Ausgeliefertsein dreier Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg. Margarete ist mit ihren Töchtern Ursula und Katharina auf der Flucht aus Nordschlesien westwärts, Richtung Deutschland. Ursula ist Anfang 20 und hat ein neugeborenes Kind dabei, was die Situation der Frauen zusätzlich verschärft, denn zusätzlich zum eigenen Leben müssen sie das eines unselbstständigen Babys bewahren. Am Anfang des Romans hängen die Frauen in einem Lager für Geflüchtete in Tschechien fest und warten auf die Erlaubnis zur Weiterreise und auf Tickets, um mit dem Zug in Richtung Deutschland ziehen zu können.
Die Not der drei Frauen ist existentiell: Sie können sich und das Baby weder angemessen ernähren noch kleiden, es ist Winter, alle frieren. Sie sind abhängig vom Wohlwollen der Soldaten, die das Lager bewachen und Zugang zu den Zugtickets herstellen können – oder eben nicht. Und für das Wohlwollen der Soldaten zahlen Frauen einen Preis: Wer kein Geld hat, hat immer noch einen weiblichen Körper.
In knapper, nüchterner und vielleicht gerade deswegen einfühlsamer Sprache erzählt Elfi Conrad davon, was es kostet, in dieser Situation als Frau zu überleben. Sie erzählt von einem Zusammenhalt dreier Frauen, zwischen denen vieles unausgesprochen und unverstanden bleibt und denen es dennoch gelingt, füreinander da zu sein. „Als sei alles leicht“ ist ein kurzer Roman wie eine Skizze, mit wenigen Strichen entstehen auf wenigen Seiten ganze Nachkriegsschicksale vor dem Lesenden, die für das Leben vieler Frauen in dieser Zeit stehen dürften.
Lucy Müller-Heuser greift in ihrer Rezension in der Berliner Morgenpost gleich zu Beginn die wichtigste Stelle heraus, hebt das Besondere der Erzählsituation und der Sprache heraus und meint, der Roman komme gerade zur rechten Zeit:

Frauen am Ende des Krieges: „Als sei alles leicht“
14.02.2025, 10:43 Uhr
Von Lucy Müller-Heuser
Von der 1944 geborenen Elfi Conrad erschien zuletzt „Schneeflocken wie Feuer“ (mikrotext).
Berlin. Vom Überleben in Zeiten der Gewalt: In ihrem neuen Roman verarbeitet Schriftstellerin Elfi Conrad die eigene Familiengeschichte.
Es ist Krieg. Eine Familie, drei Frauen und ein Baby sind auf der Flucht. Wie schafft man es, damit umzugehen? „Als ob alles leicht sei“, sagt Ursula in Elfi Conrads zweitem Roman. „Als ob es den Krieg nicht gäbe. Als ob es den Hunger nicht gäbe. Als ob es die Kälte nicht gäbe und das ewige Frieren. Als ob es die Angst nicht gäbe. Als ob es die Sehnsucht nicht gäbe. Nach Liebe. Nach der Heimat. Nach einem anderen Leben als diesem hier. Nach Frieden.“
„Als sei alles leicht“ ist Elfi Conrads zweiter Roman und erzählt die Vorgeschichte ihres in den 1960er-Jahren spielenden Debütromans „Schneeflocken wie Feuer“. Conrad wurde 1944 geboren und studierte Musik und Deutsch in Hamburg. Mittlerweile wohnt sie in Karlsruhe, wo sie als Lehrerin arbeitete und an der pädagogischen Hochschule lehrte. Der Roman basiert auf den Schilderungen der Fluchterfahrung von Conrads Mutter und erzählt die Geschichte von Ursula, ihrem Baby Dora, ihrer Schwester Katharina und der Großmutter Margarete auf der Flucht in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs.
Alle vier sind aus Niederschlesien vor der Roten Armee geflohen und befinden sich zu Beginn in einem Sammellager, im von Deutschland annektierten „Protektorat Böhmen und Mähren“, auf heutigem tschechischem Staatsgebiet. Dort herrschen prekäre Verhältnisse. Um ihre Familie zu versorgen, trifft sich Ursel mit einem tschechischen Mann, der ihr unter anderem Essen, Babyprodukte und Schuhe schenkt. Dabei ist die Angst vor Übergriffen und eventuellen Gegenleistungen ständig präsent. Als Gerüchte über das baldige Ankommen der Russen aufkommen und die letzte Hoffnung der Zug nach Deutschland ist, muss Ursula sich entscheiden, wie weit sie bereit ist zu gehen, um an die rettenden Zugtickets nach Deutschland für sich und ihre Familie zu kommen. Doch auch die Flucht zu einer entfernten Verwandten in Deutschland hält noch große Herausforderungen bereit.
Der Roman ist in fünf Abschnitte unterteilt, in denen man aus wechselnden Perspektiven von der Flucht, den Flüchtlingslagern und der politischen Lage erfährt, wobei am häufigsten aus Ursulas Perspektive erzählt wird. Manchmal wird aus der heutigen Sicht eine ergänzende Erklärung hinzugefügt. An anderer Stelle werden Szenen aus der Vergangenheit aufgegriffen, die sich mit dem Leben der Frauen vor der Flucht befassen – in einer immer klaren, eindringlichen Sprache, die ihrem Gegenstand angemessen ist.
Elfi Conrad vermeidet dabei Schwarzmalerei. Die drei Frauen haben das nationalsozialistische Regime unterstützt, mal mehr, mal weniger, und ihre Augen dabei vor den Grausamkeiten verschlossen. Trotz ihrer unterschiedlichen Haltungen sind die Protagonistinnen nun gemeinsam mit den Folgen des von Hitler angezettelten Krieges konfrontiert und finden sich in einer von Angst, Hunger und männlicher Gewalt geprägten Fluchtsituation. Der Roman beschreibt die Erfolgsstrategien von Propaganda, die Loslösung von ihr und die Möglichkeit, die Realität anzuerkennen. Vor dem Hintergrund des weltweit erstarkenden Nationalismus kommt er genau zur richtigen Zeit.
Gerrit Bartels nimmt im Tagesspiegel die Erzählsituation des Romans kritisch unter die Lupe, die als personal aus wechselnder Perspektive mit gelegentlichen Ausblicken konzipiert ist, und findet lobende Worte für die Sprache des Romans:
Der Tagesspiegel
Elfi Conrads Roman „Als sei alles leicht“: Überleben in der Zwischenzeit

Die Schriftstellerin Elfi Conrad. Sie wurde 1944 geboren.
Späte Berufung: In ihrem neuen Roman „Als sei alles leicht“ erzählt die 80-jährige Schriftstellerin Elfi Conrad von der Flucht mehrerer Frauen 1945 aus Schlesien.
Von Gerrit Bartels
12.02.2025, 10:53 Uhr
Elfi Conrads Roman „Als sei alles leicht“ beginnt mit den Gedanken von Ursula. Sie ist eine von vier Figuren, die hier abwechselnd ihre Einsätze haben, mittels phasenweise recht kühner Erzählpositionen. Ursula kommt aus Trebnitz, einem niederschlesischen Städtchen, das heute Trzebnica heißt und in Polen liegt. „Aber das weiß sie noch nicht.“, wie Conrad schreibt. „Es ist die Zukunft. Die Zeit nach dem Krieg.“
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Doch jetzt ist in Conrads Roman der Januar 1945. Ursula befindet sich in einem tschechischen Sammellager, mit ihrer gerade erst geborenen Tochter Dora, ihrer pubertierenden Schwester Katharina und ihrer Mutter Margarete. Die Frauen sind vor der anrückenden sowjetischen Armee geflohen, haben ihr Haus zurückgelassen: „Haben sich die Polen über das aufgeräumte, frisch geputzte Haus gefreut?, denkt sie Jahre danach, lacht. Ein bitteres Lachen, voller Neid, voller Scham.“
Zum Buch
Elfi Conrad: Als sei alles leicht. Roman. Mikrotext, Berlin 2025. 120 Seiten, 20 €.
© Mikrotext-Verlag
Conrad lässt immer mal wieder die Zukunft ihrer Protagonistinnen aufscheinen. Von dieser Zukunft hat sie auch schon erzählt, namentlich von der Doras und ihrer Eltern, in dem 2023 veröffentlichten Roman „Schneeflocken wie Feuer“. Dora ist darin keine Neugeborene mehr, sondern fast achtzehn Jahre alt.
Conrad wuchs im Harz auf
Es sind die frühen sechziger Jahre der Bundesrepublik Deutschland, genauer: in einem „Städtchen hinter dem Mond“ im Westharz, Clausthal-Zellerfeld. Conrad hat in „Schneeflocken wie Feuer von einer Zeit erzählt, die noch weit entfernt ist von den gesellschaftlichen Erschütterungen und Veränderungen gegen Ende des Jahrzehnts, der 68er-Revolte, zumal in der Provinz.
Für Frauen ist da lediglich eine Karriere im Haushalt und als Mutter vorgesehen, wie noch zur Zeit des Nationalsozialismus. Die NS-Zeit wird kaum reflektiert, weshalb auch niemand darüber spricht, warum die Familie im Harz gelandet ist: „Das Wort ,Schlesien’ ist ein verbotenes Wort. Ich darf es nicht benutzen. Nicht öffentlich, nicht bei Bekannten, nicht bei Freunden. Wegen der Schuld. Ich darf nicht sagen, dass alle meine Verwandten geflohen sind.“ Doch Dora arbeitet daran, aus ihrer Welt auszubrechen.
Ein Spaziergang mit Kurzeck Sommer für immer
In „Als sei alles leicht“ erzählt Elfi Conrad nun von dieser Flucht und wie die drei Frauen mit der kleinen Dora über Tschechien, Amberg, Nürnberg und dem brennenden Würzburg schließlich in Clausthal-Zellerfeld landen. Auch Conrad, die 1944 geboren wurde, ist im Harz aufgewachsen. Sie hat „Schneeflocken wie Feuer“ und den neuen Roman an ihrer Biografie und der ihrer Familie entlanggeschrieben, das erläutert sie im Nachwort von „Als sei alles leicht“. Das Buch sei „auf der Basis der Erzählungen ihrer Mutter“ geschrieben, „die mir von ihren Erlebnissen auf der Flucht berichtet hat“.
Lobeshymnen fürs Debüt
Natürlich beharrt Conrad auf der „fiktionalen Erzählung“, die ihr Roman sein soll, genau wie der Vorgänger, mit dem sie ihr überraschendes, erstaunliches Entrée noch im hohen Alter in die deutschsprachige Literatur gehalten hat. Conrad ist Lehrerin gewesen, nachdem sie in Kognitionswissenschaft und Semiotik promoviert hatte, und fing erst spät an, eigene Texte zu schreiben.
Überhaupt alle Männer. Sie sind die Unterdrücker und wissen im Grunde nicht, was Liebe ist.
Aus Elfi Conrads Roman „Als sei alles leicht“
2018 und 2019 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Phil Mira mehrere Bücher im Selbstverlag, bevor der Berliner Verlag Mikrotext auf sie aufmerksam wurde und „Schneeflocken wie Feuer“ veröffentlichte. Damit landete Conrad auf Platz eins der SWR-Bestenliste, beim NDR wurde der Roman Buch des Monats, und auch im Fall von „Als sei alles leicht“ gab es dieser Tage schon Lobeshymnen, unter anderem von Denis Scheck in seiner Sendung „Druckfrisch“ und im WDR.
Helga Schuberts Buch „Vom Aufstehen“ Die Kälte mit Erinnerungen bekämpfen
Tatsächlich vermag Conrad die Geschichte dieser Familienflucht anschaulich zu schildern, mitsamt dem Ballast, den ihre Frauenfiguren aus der NS-Zeit herumschleppen. Doch schon in der frühen kurzen Passage, die der neugeborenen Dora gewidmet ist, stutzt man. „Im Kinderwagen. Dora fühlt sich schwach“, heißt es da. „Sie schreit nicht. Schreien hilft nicht.“ Und einen Absatz weiter: „Das Gesicht, das sie auswendig kennt. Das die Schönheit der Welt birgt. Sich über sie beugt.“
Conrad weiß, wie das Neugeborene sich fühlt, dieses kennt das Gesicht seiner Mutter in- und auswendig. So, so, wer hätte das gedacht. Diese Mischung aus Einfühlung, personaler und auktorialer Erzählperspektive wirkt schräg, auch in einer zweiten Dora-Passage, in der Dora/Conrad in die „Schneeflocken“-Zukunft blickt. Und überlegt, dass auch der Mann der Mutter, Wolfgang, für diese „zu den Fremden“ gehört: „Überhaupt alle Männer. Sie sind die Unterdrücker und wissen im Grunde nicht, was Liebe ist.“
Feministischer Zugriff
Conrad überlässt jedoch überwiegend Ursula und Katharina ihren Gedanken, hin und wieder Mutter Margarete. Konsequent zwischen auktorial und personal mäandernd, mal das Erzähl-Heft in die Hand nehmend, mal in Form der Bewusstseinsströme ihrer Frauenfiguren erzählt sie von deren Vergangenheit, ihren Erfahrungen im Lager und dem Bemühen, dieses mit einem Zug gen Deutschland verlassen zu können.
Im Mittelpunkt stehen also drei Frauengenerationen. Sie werden geprägt durch die Zeit der Flucht und die vorangegangene NS-Zeit, in der insbesondere Ursula begeistert mit dabei war. Hitler war ihr Idol, ihre erste große Liebe geradezu. Dazu kommen die Traumata, die die Frauen erlitten haben. Ursula lässt sich auf einen Tschechen ein, damit dieser ihnen Fahrkarten für den Zug nach Deutschland besorgt; später muss sie sich im bayrischen Amberg den wüsten Annäherungen eines Pfarrers erwehren; sie weiß auch von dem mutmaßlichen Missbrauch, den ihre Mutter durch einen Onkel erlitten hat.
Conrads Zugriff auf den historischen Stoff ist ein feministischer, ohne die Ambivalenzen gerade bei Ursula außer Acht zu lassen (sie fühlte sich unter Hitler und als BDM-Leiterin durchaus emanzipiert), ohne die Zeit und Erziehung zu vergessen: Katharina will für ihren Angebeteten schön sein, Ursula denkt an die Hände der Männer, „was sie Gutes bewirken“, und am Ende ist da die Hoffnung, dass die Männer bald wieder aus dem Krieg zurückkehren: „Dann wird sich ihre Lage zum Besseren wenden.“
Verzicht auf Opferstatus
Conrad ist keine übermäßig großartige Erzählerin, auch die Form des schlanken Romans mit den Kurzkapiteln wirkt wie ein Hilfskonstrukt; und doch ist ihre Sprache eine durchaus eindrückliche: kurze, einfache Sätze, die Kraft entwickeln (ohne dass man nun gleich an Hemingway denken muss) und die Zeit von Flucht und Vertreibung insbesondere aus weiblicher Sicht plastisch heraufzubeschwören vermögen.
Es ist jetzt nicht so, als würde es der deutschsprachigen Literatur an Geschichten aus dieser Zeit mangeln, an Geschichten von Flucht und Vertreibung auch der Deutschen; doch ist es nicht zuletzt der Verdienst von Conrad, ihren Figuren jeglichen Opferstatus zu verwehren.

Stefanie von Oppen verbalisiert in ihrer Rezension mit Begeisterung und kompetent alle Formen, Strukturen und Intentionen, die der Roman ihrer Ansicht nach einlöst. Im Interview sagt sie: „Ich bin von diesem Roman extrem begeistert.“
Das freut mich sehr!
Elfi Conrad: „Als sei alles leicht“
Von der Kraft der Frauensolidarität auf der Flucht
Von Stephanie v. Oppen
Deutschlandfunk Kultur, Lesart, 12.02.2025
Winter 1945: Drei Frauen und ein Kleinkind aus Niederschlesien sind auf der Flucht vor der Roten Armee. Todesangst, Hunger und sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung. Jede der Frauen und sogar das kleine Mädchen erzählen davon. Was sie rettet, ist ihre liebevolle Verbundenheit.
Wenn es darum geht, ihre winzige Tochter mit Nahrung zu versorgen oder Tickets für den Zug nach Deutschland zu bekommen, lässt sich Ursel sogar auf das Äußerste ein. Sie gibt ihren Körper – das Einzige, was sie, die mit Mutter, Schwester und Kind auf der Flucht vor der Roten Armee ist, noch anzubieten hat.
Nach ihrem ersten, sehr erfolgreichen Roman „Schneeflocken wie Feuer“, in dem sie die autofiktionale Geschichte von Dora erzählt, die als Jugendliche aus den gesellschaftlichen Normen ausbricht, geht Elfi Conrad in ihrem neuen Roman zurück in die Zeit, als Dora noch ein Baby ist, ein Baby im Krieg.
Auch das Kleinkind mit eigener Stimme
Elfi Conrad ist Jahrgang 1944 und wenn wir in diesem Jahr das Kriegsende vor 80 Jahren begehen, dann gehört sie zu den zahllosen Menschen, die im Winter 1945 auf der Flucht waren, eine Erfahrung, die sich tief eingeschrieben hat in deutsche Familiennarrative. Sie lässt in ihrem kleinen Roman die drei Frauen sprechen, nachdenken, assoziieren. Und auch das Kleinkind bekommt seine eigene Stimme.
Die Männer der Familie sind irgendwo – im Krieg, verschollen oder gar verstorben. Umso enger ist das Band unter den Frauen, die es zunächst aus Niederschlesien nach Böhmen geschafft und in einer Schule eine notdürftige Unterkunft gefunden haben. Vor allem Doras Großmutter macht sich große Sorgen um ihre beiden Töchter.
Vergewaltigungen als Rache an den Deutschen
Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung – auch als Rache an den Deutschen. Und auch die böhmischen Frauen finden ihre Wege sich an den vier Fliehenden zu rächen.
Am wichtigsten ist es, irgendetwas zum Tauschen für das Überlebenswichtigste zu haben – Schmuck, Nylonstrümpfe oder auch ein Stück Seife. Denn sonst bleibt nur, den eigenen Körper anzubieten. Und selbst im vermeintlich sicheren Deutschland angekommen ist es ausgerechnet ein Pfarrer, der sich als geiler Schürzenjäger erweist.
Doch Ursel, Doras Mutter, Kathi, ihre Tante und Margarete, die Großmutter sind stark und lebensfroh. Zur Not haben sie ihre Erinnerungen an bessere Zeiten. Bessere Zeiten allerdings, die sie nun auch infrage stellen müssen.
Früher „überlegene Menschenrasse“, heute „asozial“
Ursel war beim Bund deutscher Mädels und hat fest an den Führer geglaubt. Und sie war davon überzeugt, einer überlegenen Menschenrasse anzugehören. Die Wahrnehmung hat sich jetzt völlig gedreht. Nun wird ihr als mittellosem Flüchtling mit Herablassung begegnet und sie grübelt: „Es klingt nach Untermensch, Asozialer, Fremdrassiger. Wörter, die plötzlich grausam wirken. Jetzt sind sie die Ausgestoßenen und die anderen die, die nichts mit ihnen zu tun haben wollen.“ Anders ihre Schwester Kathi, die das Unheil schon früh hatte kommen sehen und sich über die Naivität ihrer Schwester geärgert hatte. Kathi hatte erlebt, wie ihre beste Freundin, eine Jüdin, einfach verschwand.
„Als sei alles leicht“ ist einmal mehr ein Roman, der von einer Flucht kurz vor Kriegsende erzählt, von Frauen, die über sich selbst hinauswachsen, ohne festes Dach über dem Kopf – angesichts von Krieg und (sexueller) Gewalt – für ihre Kinder, für ihr Leben. Die größte Quelle der Kraft dabei bleibt der Zusammenhalt und die Liebe. Das Herausragende an Elfi Conrads Roman ist ihre Art des Erzählens. Jede der Frauen hat ihre eigene Perspektive auf das Geschehen und für jede hat sie einen eigenen Ton gefunden. Auch die kleine Dora. Sie wundert sich, über das, was mit ihr passiert. Elfi Conrad lässt ihr Alter Ego in die die Zukunft blicken: „Sie wird eine Meisterin des Verdrängens werden. Aber auch die Meisterin des Mutes und des Selbstvertrauens.“

Denis Scheck preist die Autorin in einem Interview im WDR 3 Mosaik und findet dafür eine Sprache, die direkt in das Herz des Romans zielt und mit der Sprache des Romans auf eindrückliche Weise korrespondiert:
– Ich möchte mit Pauken und Trompeten, Fideln und Schalmeien eine Autorin lobpreisen, die mir sehr ans Herz gewachsen ist.
– auf kleiner Fläche, meisterhaft erzählt
– Diese Prosa entwickelt einen Sog, der einen direkt reinzieht.
– Die Autorin erzielt dadurch die Wirkung, die Gewalterfahrung bis in die menschlichen Beziehungen hinein erlebbar zu machen.
– Wenn man sich weltweit umschaut, wie schnell der dünne Firnis der Zivilisation aufplatzen kann und darunter Strukturen zum Vorschein kommen, wie Elfi Conrad sie beschreibt, dann stockt einem der Atem.
Elke Trost hat im Online-Magazin egotrip eine einfühlsame und detaillierte Rezension geschrieben, die die Intention des Romans perfekt trifft:
„Elfi Conrad erzählt in einer knappen, aber sehr eindringlichen Sprache die Erfahrungen der drei Frauen abwechselnd aus deren jeweiliger Perspektive. Das geschieht mit der Distanz der personalen Erzählhaltung in der dritten Person. Dadurch werden die Kriegs- und Fluchterfahrungen der drei Frauen auf eine objektive Ebene gehoben, auf der es um die Erfahrungen des Flüchtlingslebens schlechthin geht, nicht um das Mitleid mit diesen drei Frauen …
Elfi Conrad gelingt es meisterhaft, die Schuld der Deutschen auch angesichts des Leids nach dem Krieg immer transparent zu machen …
Nicht Mitleid will Elfi Conrad für das Leiden der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg, vielmehr plädiert sie mit ihrem Roman für Toleranz und Großherzigkeit mit Menschen, die vor Krieg und Hunger geflohen sind. Auch wenn wir nun von „Geflüchteten“ statt von „Flüchtlingen“ sprechen, sind in unseren Köpfen die alten Vorbehalte immer noch existent.“
Elisabeth Dietz ist vom Ton und den versprachlichten Perspektiven beeindruckt und schreibt im Bücher-Magazin u.a.:
Elfi Conrads klare, schlichte Sätze treffen den Ton der Erfahrungsberichte Überlebender, leise, aber voller Kraft, und berühren tief. Die Perspektive verschiebt sich, kommt den Figuren ganz nah und greift dann wieder vor, erinnert uns daran, dass wir Beobachtende aus der Zukunft sind. Es ist wichtiger denn je, dass wir uns vergegenwärtigen, wie einfach Nationen in den Faschismus abrutschen. Aber auch, dass er überwunden werden kann.
Eine sehr ausführliche und geradezu hymnische Rezension im Blog Horatio-Bücher :
Wie hier der Roman erfühlt, zerlegt, wieder zusammengesetzt und sprachlich gebannt wird, macht mich wiederum sprachlos:
Gesellschaftsroman
Elfi Conrad, „Als sei alles leicht“
Februar 9, 2025
Es ist sicherlich ungewöhnlich, die Vorstellung eines neuen Romans mit dem Hinweis auf dessen Vorgänger zu beginnen. Im Falle des vor Kurzem erschienenen „Als sei alles leicht“ von Elfi Conrad, möchte ich aber ausnahmsweise so verfahren.
Der Vorgängerroman „Schneeflocken wie Feuer“ war ein ausgesprochen großer Erfolg bei Leserschaft und Kritik. Eine autofiktionale Geschichte, in der sich die 1944 geborene und mittlerweile achtzig Jahre alte Elfi Conrad mit ihrer eigenen Jugend auseinandersetzte. Anstelle der Autorin erinnerte sich in „Schneeflocken wie Feuer“ die achtzigjährige Dora an ihre Schülerinnenzeit im Harz, Anfang der 1960er Jahre. Doras Familie war kurz nach ihrer Geburt gegen Ende des zweiten Weltkriegs aus Niederschlesien geflohen und, von Flucht und Diktatur gezeichnet, in Clausthal-Zellerfeld/Harz sesshaft geworden. Aus den sehr verschiedenen Perspektiven der 80jährigen und 17jährigen Dora entstand in „Schneeflocken wie Feuer“ ein Bild der gesellschaftlichen Enge und Erstarrung der Bundesrepublik zu Beginn der 1960er Jahre. Dora begehrte auf, gegen die Verhältnisse, die traditionellen Frauenbilder und patriarchalen Strukturen. Ein Kampf um Zukunft und Selbstbestimmung als Frau. „Schneeflocken wie Feuer“ war ein sehr persönliches Buch, dass mich außerordentlich angesprochen und berührt hat.
Auch in ihrem neuen Roman „Als sei alles leicht“ setzt sich Elfi Conrad wieder mit ihrer eigenen Familiengeschichte auseinander, indem sie ihren Blick auf die Vorgeschichte von „Schneeflocken wie Feuer“ richtet. Dieses Mal eine in weiten Teilen fiktionale Erzählung, die auf den Erinnerungen ihrer Mutter basiert.
Januar 1945, die letzten Monate des zweiten Weltkriegs. Dora ist noch ein Baby und wie Millionen andere Deutsche auf der Flucht vor der herannahenden Roten Armee. Mutter Ursula, Großmutter Margarete und Schwester Katharina haben sich gemeinsam mit Baby Dora auf den gefährlichen Weg von Niederschlesien in Richtung Westen gemacht. Die Frauen der Familie sind auf der Flucht, die Männer irgendwo im Krieg.
Jetzt Anfang 1945 sitzen sie erst einmal in einem Flüchtlingslager in Tschechien fest. Tschechien, als sogenanntes „Protektorat Böhmen und Mähren“ steht zwar immer noch unter Kontrolle der Nationalsozialisten, aber das Ende des dritten Reichs ist überall zu spüren. Schon lange leidet die tschechische Bevölkerung unter der brutalen, von Zwangsarbeit und Deportationen geprägten deutschen Besatzung. Die Situation im Lager ist entsprechend angespannt. Unzureichende Versorgung, Überfüllung, mangelnde Hygiene, Brutalität, Willkür, Ausgeliefertsein. Die Insassen, allesamt Flüchtlinge, hoffen auf eine Zugfahrkarte ins westliche Deutschland. Aber die ist nicht einfach zu bekommen. Für die deutschen Flüchtenden wird immer deutlicher, dass sie jetzt die Ausgestoßenen sind.
„Das Wort Flüchtling hat einen bösen Klang. Es kling nach »Untermensch«, »Asozialer«, »Fremdrassiger«. Wörter, die plötzlich grausam wirken. Jetzt sind sie die Ausgestoßenen und die anderen die, die nichts mit ihnen zu tun haben wollen.“
Elfi Conrad lässt in „Als sei alles leicht“ die drei Frauen und das Baby persönlich zu Wort kommen. Jedes Kapitel, wird jeweils aus der Perspektive von Ursula, Magarete, Katharina oder sogar dem Baby Dora erzählt. Sehr intensive, subjektive Erzählperspektiven, mit denen wir durch die Augen der Frauen ganz unmittelbar auf die Gefahren des Lagerlebens und der weiteren Flucht blicken.
Die wechselnden persönlichen Perspektiven ermöglichen zudem einen direkten Vergleich der sehr verschiedenen inneren Kämpfe, Empfindungen und Bewältigungsstrategien der Frauen, die unterschiedlich tief in den Nationalsozialismus verstrickt sind. Die Spanne reicht dabei vom unschuldigen Baby Dora bis hin zu der, dem Führer verfallenen, Mutter Ursula. Gerade Ursula ist im Grunde immer noch, eine glühende Verehrerin Adolf Hitlers. Dieser Führer, der ausgerechnet an ihrem zehnten Geburtstag an die Macht kam und dem sie ihre privilegierte, unbeschwerte Jugend in der BDM-Gemeinschaft, inklusive einer besonderen Stellung als Jungmädelführerin, zu verdanken hat. Hitler übt weiterhin eine magische Anziehungskraft auf Ursula aus. Langsam beginnt die grausame Wahrheit jedoch zu ihr durchzudringen. Ursula ringt mit ihrer persönlichen Schuld und der Bedeutung des Führers in ihrem Leben.
„Konnte sie denn ahnen, dass der Verehrte es gar nicht ernst meinte mit dem gleichen Recht für alle? Dass alles nur galt, solange sie jung waren? Dass der Führer für sie eine größere Einengung vorsah, als sie in früheren Zeiten üblich war, sobald sie Frauen wären? Dass er es auf ihre Gebärmutter abgesehen hatte, auf sonst nichts? Ja sie hätte es merken müssen…“
Besonders eindrucksvoll werden diese Innenansichten dadurch, dass Elfi Conrad ihnen immer auch die eigene Stimme als übergeordnete, kommentierende Instanz zur Seite stellt. Sie setzt die persönlichen Perspektiven der Frauen damit in einen einordnenden historischen Kontext und arbeitet auf diese Weise die zentralen Themen der Geschichte heraus. Diese Rationalität und Reflektiertheit des andererseits ja sehr persönlichen Textes, hat mich auch schon beim Vorgängerroman „Schneeflocken wie Feuer“ ausgesprochen beeindruckt.
„»Und was ich ganz wichtig finde, Mutti«, fügte sie hinzu und lächelte glücklich, »es ist völlig egal, ob wir Männer oder Frauen sind. Die Frauen sind genauso viel wert wie die Männer. Sie leisten genauso viel fürs Reich wie die Männer!« – Erst später werden sie erfahren, wie sich Hitler das mit den Frauen gedacht hatte. Welchen Zweck sie wirklich erfüllen sollten. Von wegen Gleichheit! Hätten Sie hingehört bei den Reden vor der Nazi-Frauenschaft, hätten sie gewusst, wozu sie da sein sollten.“
Krieg ist ein Zivilisationsbruch, der immer mit massiven Menschenrechtsverletzungen einhergeht und in dem gerade Frauen in besonderem Maße geschlechtsspezifischer Gewalt und Druck ausgesetzt sind. Das gilt auch für Flüchtlingslager, in denen die bestehenden gesellschaftlichen Machtstrukturen besonders extrem und unmittelbar ans Tageslicht treten. Und so setzt sich dieser aus weiblicher Perspektive erzählte Roman einer Fluchtgeschichte, unweigerlich auch mit den Erscheinungsformen männlicher Machtausübung und Gewalt gegen Frauen auseinander, bzw. mit den Strategien der Frauen, dieser zu begegnen.
Insgesamt verzichtet die Autorin weitgehend auf allzu explizite Darstellungen des Grauens. Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, der Roman sei harmlos oder werde den furchtbaren Schicksalen nicht gerecht. Ganz im Gegenteil. „Als sei alles leicht“ ist zwar lediglich 115 Seiten kurz, aber ein sehr verdichteter Text. Für uns Lesende ist klar, mit jedem der neunzehn, nur wenige Seiten knappen Kapitel, lediglich sorgfältig ausgewählte Episoden vor uns zu haben. Ein Konzentrat, dass unweigerlich vieles unausgesprochen lässt. Es ist sozusagen „die Spitze des Eisbergs“. Und gerade die Auslassungen verlangen danach, durch unsere Phantasie gefüllt zu werden, die uns aufgrund der Umstände Schlimmstes erahnen lässt. Ein sehr gelungener, überzeugender Kunstgriff der Autorin.

Es ist zudem von großem Gewinn, den Vorgängerroman „Schneeflocken wie Feuer“ und das aktuelle Buch „Als sei alles leicht“ im Zusammenhang zu lesen. Auf diese Weise eröffnet sich mit besonderer Wucht, die in beiden Einzelromanen bereits angedeutete, Perspektive der Entstehung und Weitergabe von Kriegs-, Missbrauchs- und Gewalttraumatisierungen über mehrere Generationen hinweg. Die Darstellung und Ergründung transgenerationaler Traumata sind eine große Klammer, die beide so unterschiedliche Romane zu einer Einheit zusammenfasst. Ein lange vernachlässigtes und vielfach unterschätztes Thema, dass längst nicht nur die Menschen in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit betrifft.
„Ihren unersättlichen Körper wird sie im Zaum behalten durch Sublimierung, von der sie nichts weiß und von der sie erst im Studium erfahren wird. Und durch eiserne Disziplin, die ihr ihr Vater einprügeln wird. Dieser hilflose Mann, der mit siebzehn in den Krieg gezogen ist und als Befehlshaber und Versehrter zurückkommen wird. Der seine Fähigkeit zur Erziehung im Alter von dreiundzwanzig mit aller Macht unter Beweis stellen will.“
Elfi Conrads „Als sei alles leicht“ ist ein nachhaltig bewegender Roman über Flucht, Schuld, Verstrickung und sexualisierte Gewalt. Ein beklemmendes Zeitzeugnis, gerade heute von großer Aktualität.
Und wieder einmal ist es die einzigartige Stimme der Autorin, die besonders beeindruckt. Diese unaufgeregte, klare, ja analytische Sprache, die dem relevanten Text auch eine poetische Nuance hinzufügt und zu einem literarischen Erlebnis macht.
Meine uneingeschränkte Empfehlung.
„Das die Freiheit auf Sand und dem Leid anderer gebaut war, wussten sie nicht. Wollten sie nicht wissen.“

20 Jahre Druckfrisch

https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/sendung/denis-scheck-empfiehlt-elfi-conrad-100.html Video verfügbar bis 19.01.2030 | Bild: ARD
Als allererstes heute möchte ich Ihnen den Roman „Als sei alles leicht“ von Elfi Conrad vorstellen. Conrad erzählt darin vom Moment, wo der dünne Firnis der Zivilisation aufplatzt. Von Menschen in Extremsituationen, wo sich selbst Pfarrer in schwanzgesteuerte Triebtäter verwandeln. Und von der Erfahrung einer jungen Frau als Freiwild – von sexualisierter Gewalt, die allgegenwärtig ist. Mit ihrem spektakulären Romandebüt „Schneeflocken wie Feuer“, in dem sie den Ausbruchsversuch einer jungen Frau namens Dora Anfang der 60er Jahre schilderte, wurde Elfi Conrad schlagartig bekannt. Nun geht sie in „Als sei alles leicht“ eine Generation zurück und berichtet vom Schicksal von Doras Mutter Ursula am Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie Millionen Deutscher muss Ursula aus Schlesien vor der Roten Armee flüchten. Während die Welt um sie durch die Bombenangriffe der Alliierten in Trümmer versinkt, kommt Ursula ihr Glaube an den Endsieg und Adolf Hitler als den größten Feldherrn aller Zeiten abhanden. „Das Wort Flüchtling hat einen bösen Klang“, überlegt sie. „Es klingt nach Untermensch, Asozialer, Fremdrassiger. Wörter, die plötzlich grausam wirken. Jetzt sind sie die Ausgestoßenen und die anderen die, die nichts mit ihnen zu tun haben wollen.“
Elfi Conrad feiert in diesem Jahr ihren 80. Geburtstag. Ihr blutjunger und sehr zeitgemäßer Roman „Als sei alles leicht“ erinnert daran, dass rape culture in Deutschland schon fest verankert war, als es noch kein Wort dafür gab. Also vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie Elfi Conrads „Als sei alles leicht“, erschienen im Berliner Verlag Mikrotext.